Prüfverfahren in der Energietechnik

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Prüfverfahren in der Energietechnik

Die Prüfung von elektrischen Kontakten der Energietechnik dient einerseits der laufenden Qualitätskontrolle und andererseits der Neu- und Weiterentwicklung von Kontaktwerkstoffen. Um ein optimales Kontakt- und Schaltverhalten zu erreichen, müssen Kontaktwerkstoffe und Schaltgeräte mit ihren Eigenschaften im Rahmen elektrischer Prüfungen aufeinander abgestimmt werden. Der Erfolg dieser Abstimmung wird durch Schaltprüfungen nachgewiesen.

Die Bewertung eines Kontaktwerkstoffes erfolgt durch Untersuchungen mit Hilfe werkstoffkundlicher Prüfmethoden sowie durch Schaltversuche in Modellschaltern und Serien-Schaltgeräten. Die physikalischen Eigenschaften, wie Schmelz- und Siedetemperatur, elektrische Leitfähigkeit usw., sind maßgebend für die Auswahl des Basiswerkstoffes und einzelner Komponenten, können aber keine Aussage zum Kontakt- und Schaltverhalten geben. Werkstoffkundliche Prüfmethoden eignen sich in erster Linie zur Aufdeckung von Material- und Bearbeitungsfehlern. Das eigentliche Kontakt- und Schaltverhalten eines Werkstoffes kann nur durch elektrische Schaltversuche mit einem Modellschalter oder vorzugsweise mit einem Serien-Schaltgerät erfasst werden.

Modellschalter bieten dabei die Möglichkeit, einen Kontaktwerkstoff schon innerhalb kurzer Zeit z.B. bezüglich des Ein- und Ausschaltverhaltens zu beurteilen und grob zu klassifizieren. Da Modellschalter von idealisierten Versuchsbedingungen ausgehen, können sie keinesfalls die Prüfung im serienmäßigen Schaltgerät ersetzen.

Die Prüfung von Kontaktwerkstoffen in serienmäßigen Schaltgeräten sollte möglichst nach DIN EN - bzw. IEC-Bestimmungen und -Regeln erfolgen. Für jede Geräteart bestehen spezielle Prüf-Normen, die sich für die Beurteilung eines Gerätes jeweils unterteilen lassen nach:

  • Einschaltvermögen,
  • Ausschaltvermögen,
  • elektrische Lebensdauer,
  • Übertemperatur.

Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich auf werkstoffkundliche Prüfungen sowie die Prüfung der für Schaltgeräte besonders wichtigen Kenngrößen elektrische Lebensdauer, Übertemperatur und Schaltvermögen.

Werkstoffkundliche Prüfungen

Hauptmerkmal für die Beurteilung von Kontaktwerkstoffen der Energietechnik ist die mikroskopische Gefügeuntersuchung anhand eines metallographischen Schliffs. Sie gibt einen Einblick in die innere Struktur des Werkstoffes. Auf diese Weise werden Gefügecharakteristiken, wie Korngröße, Oxidverteilung und auch Gefügeinhomogenitäten, Korngrenzenanreicherungen, Risse, Materialtrennungen oder fehlerhafte Lötverbindungen erkennbar. Allerdings ist die Betrachtung auf die gewählte Schliffebene begrenzt.

Figure 1 zeigt das Gefüge eines Ag/CdO-Werkstoffes nach Lichtbogenbeanspruchung. Im unteren Bildteil ist das Ausgangsgefüge des Kontaktwerkstoffes zu erkennen. Im oberen Bildteil sind Werkstoffentmischungen zu sehen, die durch Lichtbogeneinwirkung beim Schaltvorgang entstanden sind. Dieses „Schaltgefüge“ weist in einigen Bereichen eine Verarmung von Metalloxid auf, so dass beim Einschaltvorgang die Gefahr des Verschweißens der Kontaktstücke besteht. Weitere Untersuchungen mittels Mikrosonde in Kombination mit einem Raster-Elektronenmikroskop (REM) erlauben eine Analyse der an der Oberfläche vorhandenen Elemente.

Figure 1: Gefüge eines gesinterten Ag/CdOWerkstoffes nach intensiver Lichtbogenbeanspruchung

Prüfungen nach IEC/EN

Elektrische Lebensdauer

Die elektrische Lebensdauer von in der Niederspannungs-Energietechnik häufig eingesetzten Schützen, Motorschaltern und Hilfsstromschaltern wird nach Gebrauchskategorien festgelegt, die in Table 1 zusammengefasst sind.

Zur Prüfung der elektrischen Lebensdauer nach IEC/EN 60947-4-1 sind für die einzelnen Gebrauchskategorien in Table 2 die Ein- und Ausschaltbedingungen aufgeführt:

Die Lebensdauer eines Motorschalters wird in erster Linie vom Abbrand bestimmt, der durch die Ein- und Ausschaltlichtbögen an den Kontaktstücken entsteht. Bei der Prüfung nach der Gebrauchskategorie AC-3, bei der der Einschaltstrom das 6-fache des Ausschaltstromes beträgt, ist für die Höhe des Abbrandes weitgehend der Einschaltvorgang maßgebend, insbesondere wenn häufig Prellungen > 2 ms Dauer auftreten. Die Charakteristik des Prellvorganges beim Einschalten ist daher für den Abbrand der Kontaktstücke in Schaltgeräten, die überwiegend im Normalbetrieb (AC-3) eingesetzt sind, von außerordentlich großer Bedeutung. Wenn bei den Schaltgeräten die Einund Ausschaltströme gleich groß sind, wie nach den Gebrauchskategorien AC-1 und AC-4, überwiegt der Ausschaltabbrand so stark, dass der Einschaltabbrand vernachlässigt werden kann.


Table 1: Wichtige Gebrauchskategorien und typische Anwendungsfälle für Schütze und Hilfsstromschalter
Schütze, Motorschalter (IEC/EN 60947-4-1)
Stromart Gebrauchskategorie Typischer Anwendungsfall
Wechselstrom AC-1 Nicht induktive oder schwach induktive Last. Widerstandsöfen
AC-2 Schleifringläufermotoren: Anlassen, Ausschalten
AC-3 Käfigläufermotoren: Anlassen, Ausschalten während des Laufes
AC-4 Käfigläufermotoren: Anlassen, Gegenstrombremsen, Tippen, Reversieren
Gleichstrom DC-1 Nicht induktive oder schwach induktive Last Widerstandsöfen
DC-3 Nebenschlussmotoren: Anlassen, Gegenstrombremsen, Reversieren, Tippen, Widerstandsbremsen
DC-5 Reihenschlussmotoren: Anlassen, Gegenstrombremsen, Reversieren, Tippen, Widerstandsbremsen
Hilfstromschalter (IEC 60947-5-1)
Stromart Gebrauchskategorie Typischer Anwendungsfall
Wechselstrom AC-12 Steuern von ohmscher Last und Halbleiterlast in Eingangskreisen von Optokopplern
AC-14 Steuern von kleiner elektromagnetischer Last (max. 72VA)
AC-15 Steuern von elektromagnetischer Last (größer als 72VA)
Gleichstrom DC-12 Steuern von ohmscher Last und Halbleiterlast in Eingangskreisen von Optpkopplern
DC-13 Steuern von Elektromagneten bei Gleichspannung
DC-14 Steuern von elektromagnetischer Last bei Gleichspannung mit Sparwiderständen im Stromkreis

Die elektrische Lebensdauer in den Gebrauchskategorien AC-3, DC-3 und DC-5 muss mindestens 5% der mechanischen Lebensdauer betragen. Die elektrische Lebensdauer von Hilfsstromschaltern ist i.d.R. von untergeordneter Bedeutung, da diese Geräte nur gering belastet werden. Es ist jedoch zu beachten, dass nach den Bestimmungen bezüglich des Ein- und Ausschaltvermögens unter bestimmten Bedingungen die 10-fachen Werte der Bemessungs-Betriebsdaten verlangt werden, was hohe Anforderungen an die elektrische Festigkeit der Schaltstrecke unmittelbar nach der Lichtbogen beanspruchung bzw. an die Wiederverfestigungsspannung der Kontaktwerkstoffe stellt.


Table 2: Nachweis der elektrischen Lebensdauer. Bedingungen für das Ein- und Ausschalten von Schützen und Motorschaltern nach Gebrauchskategorien
Gebrauchskategorie Nennbetriebsstrom Einschalten Ausschalten
Ie/A I/Ie U/Ue cos φ Ic/Ie Ur/Ue cos φ
AC-1 Alle Werte 1 1 0.95 1 1 0.95
AC-2 Alle Werte 2.5 1 0.65 2.5 1 0.65
AC-3 Ie ≤ 17
Ie > 17
6
6
1
1
0.65
0.35
1
1
0.17
0.17
0.65
0.35
AC-4 Ie ≤ 17
Ie > 17
6
6
1
1
0.65
0.35
6
6
1
1
0.65
0.35
Ie/A I/Ie U/Ue L/R [ms] Ic/Ie Ur/Ue L/R [ms]
DC-1 Alle Werte 1 1 1 1 1 1
DC-3 Alle Werte 2.5 1 2 2.5 1 2
DC-5 Alle Werte 2.5 1 7.5 2.5 1 7.5

Ie = Bemessungs-Betriebsstrom
I = Einschaltstrom
Ic = Ausschaltstrom

Ue = Bemessungs-Betriebsspannung
U = Angelegte Spannung
Ur = Wiederkehrende Spannung

Figure 2: AC-3-Kontaktabband zweier unterschiedlich hergestellter Ag/SnO2-Werkstoffe in einem 37 kW-Schütz; 1 Ag/SnO2 88/12, konventionell pulvermetallurgisch hergestellter Werkstoff mit MoO3-Zusatz, stranggepresst; 2 Ag/SnO2 88/12, Pulverherstellung nach dem Reaktionssprühverfahren mit CuO- und Bi2O3- Zusätzen, stranggepresst

Erwärmung (Übertemperatur)

Die Prüfung der Übertemperatur wird nur für Schaltgeräte im Neuzustand vorgeschrieben. Während des Betriebes dürfen im Verlaufe der gesamten Lebensdauer keine Schäden infolge zu hoher Temperatur im Gerät und an den Anschlüssen auftreten.

Figure 3: Maximale Brückenübertemperatur für versch. Silber-Metalloxid-Werkstoffe in einem 132 kWSchütz nach AC4-Betrieb: I = 300 A (Dauerstrom):
1 Ag/CdO 88/12 gesintert und stranggepresst
2 Ag/SnO27.5In2O32.5 innerlich oxidiert
3 Ag/SnO2 88/12 gesintert und stranggepresst
4 Ag/SnO2 11.5 WO3 0.5 gesintert und stranggepresst
5 Ag/SnO2 11.6 MO4 0.4 gesintert und stranggepresst

Für eine Bewertung von Kontaktwerkstoffen wird häufig eine Erwärmungsprüfung nach einer bestimmten Anzahl von Schaltspielen unter Lichtbogenbeanspruchung durchgeführt (Figure 2). Besonders kritisch zu bewerten ist dabei das Übertemperaturverhalten der Brückenkontaktstücke. Bei Überschreiten eines gerätespezifischen oberen Grenzwertes der Temperatur können bei benachbarten Kunststoffen irreversible Schäden auftreten.

Analyse der Schaltvorgänge

In Schaltgeräten, bei denen der Antriebsmagnet mit Wechselstrom erregt wird, können die Kontaktstücke zu einem bestimmten Winkel, bezogen auf den Spannungs- Nulldurchgang einer Netzphase, synchron schließen und öffnen. Von ähnlicher Bedeutung ist, mit welcher Phasenfolge, d.h. Reihenfolge der drei Phasen eines Gerätes, das Schließen und Öffnen der Kontaktstücke abläuft. Der dabei auftretende Schließ- und Öffnungsverzug gibt an, mit welchem zeitlichen Abstand nach der ersten Phase die beiden anderen folgen.

Entsprechende Untersuchungen haben gezeigt, dass die Überlagerung der Effekte Synchronismus, Phasenfolge und Schaltverzug bei einer ungünstigen Konstellation zu einer extremen Beanspruchung der Kontaktstücke, besonders bei einer der drei Phasen führen kann. Die Folgen sind Frühausfälle dieser Phase und somit des kompletten Schaltgerätes, die unabhängig vom Kontaktwerkstoff bereits bei 30% der Nennlebensdauer auftreten können. Aufgrund der teilweise starken Streuung der mechanischen Kennwerte der Schalt-geräte innerhalb einer Fertigungscharge ist die Lebensdauerprüfung in einem einzelnen Schaltgerät nicht aussagekräftig. Erst die statistische Auswertung einer großen Zahl von Prüflingen könnte zu einem verwertbaren Ergebnis führen. Diese Vorgehensweise ist aber sehr aufwendig. Wird jedoch nach einem speziellen Messverfahren jede einzelne Schaltung bezüglich des Prellvorgangs, der Ein- und Ausschalt-synchronismen, der damit verbundenen Phasenfolgen und Schaltverzüge, der Lichtbogenlaufeigenschaften und vor allem der Energie, die während der Ein- und Ausschaltvorgänge an die Kontaktstücke abgegeben wird, analysiert, so kann schon die Prüfung in einem einzelnen Schaltgerät zur Bewertung eines Kontaktwerkstoffes führen.

Schaltvermögen

Das sichere Beherrschen hoher Kurzschlusströme ist die Hauptaufgabe von Niederspannungs-Leistungsschaltern. Das Kurzschlussschaltvermögen von Leistungsschaltern wird nach den in IEC/EN 60947-2 festgelegten Prüfungen bestimmt (Table 3). Bei der Prüfung des Kurzschlussschaltvermögens wird nach IEC/EN 60947-2 zwischen dem Bemessungs-Grenzkurzschlussausschaltvermögen ICU und dem kleineren oder max. gleich hohen Bemessungs-Betriebskurzschlussausschaltvermögen ICS unterschieden.

Bei der Festlegung von ICU muss gewährleistet sein, dass Kurzschlussströme bis zur Höhe der Bemessungsgrenze sicher ausgeschaltet werden. Danach muss es möglich sein, einmal auf den nicht beseitigten Kurzschluss zu schalten und diesen Strom sicher auszuschalten. Der Schalter muss danach nicht mehr für den weiteren Betrieb geeignet sein. Ein nach ICS bemessener Schalter muss die Anlage noch schützen können und kann mit Einschränkungen weiter verwendet werden.

Um die Kurzschlussströme sicher zu beherrschen, werden hohe Anforderungen an die Verschweißresistenz der eingesetzten Kontaktpaarung gestellt. Beim Einschalten auf einen Kurzschluss wird die Kontaktkraft durch die Wirkung elektrodynamischer Kräfte reduziert. Oberhalb eines gerätespezifischen Stromwertes kommt es zu einem Abheben der Kontaktstücke. Dabei entsteht ein Lichtbogen, an dessen Fußpunkten das Kontaktmaterial aufschmilzt. Beim nachfolgenden Schließen der Kontaktstücke können Verschweißungen auftreten, so dass der Schalter nicht mehr in der Lage ist, den Kurzschlussstrom auszuschalten und somit seine Sicherheitsfunktion verliert.



Table 3: Prüfung des Kurzschlussschaltvermögens von Niederspannungs-Leistungsschaltern nach IEC/EN 60947-2 (gekürzte Darstellung)
Prüfmerkmale Bemessungsgrenzkurzschluss- ausschaltvermögen ICU Bemessungsgrenzkurzschluss- ausschaltvermögen ICS
Prüfbedingungen Ue
abhängig von der Höhe des Prüfstromes I in kA, z.B.
6 < l ≤ 10 cosφ 0.5
10 < l ≤ 20 cosφ 0.3
20 < l ≤ 50 cosφ 0.25
50 < l cosφ 0.2
Ue
abhängig von der Höhe des Prüfstromes I in kA, z.B.
6 < l ≤ 10 cosφ 0.5
10 < l ≤ 20 cosφ 0.3
20 < l ≤ 50 cosφ 0.25
50 < l cosφ 0.2
Prüffolge O - t - CO O - t - CO - CO
anschließende Isolationsprüfung 2 x Ue, mindestens mit 1.000 V 2 x Ue, mindestens mit 1.000 V
anschließende Erwärmungsprüfung Die Übertemperaturen dürfen die Grenzübertemperaturen nicht übersteigen

Ue = Bemessungsbetriebsspannung
U = Prüfstrom
O = Ausschalten
T = Pause
CO = Ein- und Ausschalten

Prüfungen nach UL und CSA

Die nordamerikanischen Normen nach UL (USA) und CSA (Kanada) unterscheiden sich teilweise erheblich von den IEC-Normen und den harmonisierten Europa-Normen (EN). In den USA und Kanada wird zwischen Geräten für die Energieverteilung z.B. Niederspannungs-Leistungsschalter nach UL 489 (UL=Underwriters Laboratories) bzw. CSA-C22.2 No. 5-02 (CSA= Canadian Standard Association) und Industrieschaltgeräten z.B. Schützen nach UL 508 bzw. CSA-C22.2 No. 14 unterschieden. Nordamerikanische Normen legen einen besonderen Schwerpunkt auf die Vermeidung von Bränden. Daraus ergeben sich besondere Anforderungen an das Erwärmungsverhalten. Außerdem sehen nordamerikanische Normen größere Luft- und Kriechstrecken vor als die IEC- Normen. Beides hat erheblichen Einfluss auf die Bauweise der Schaltgeräte und die Bemessung des Kontaktsystems.

Referenzen

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